Arbeitsmigration zwischen den Grenzen: Hochschule stellt Studienergebnisse vor

Mit der Corona-Pandemie wurde offensichtlich, in welchem Ausmaß Arbeitskräfte aus osteuropäischen EU-Staaten vor allem in der Land- und Fleischwirtschaft rekrutiert werden und welchen prekären Arbeits- und Lebensbedingungen diese Arbeitsmigrantinnen und - migranten häufig ausgesetzt sind. In einer Studie der Hochschule Rhein-Waal wurden dazu Medienberichte ausgewertet und Interviews mit Expertinnen und Experten geführt. Die Ergebnisse wurden in einem Abschlussworkshop am 9. Dezember 2022 auf dem Campus in Kleve vorgestellt.

Bildnachweis: Prof. Dr. Ingrid Jungwirth während des Abschlussworkshops des Projekts ‚Arbeitsmigration zwischen den Grenzen‘ © André Ruckriegel / HSRW

„Das Projekt der Hochschule Rhein-Waal aus unserer Forschungskooperation zur Arbeitsmigration zwischen den Grenzen ist ein weiterer wichtiger Baustein, um die ausbeuterischen Wohn- und Arbeitsverhältnisse weiter zu bekämpfen. Die Ergebnisse zeigen, dass wir mit dem grenzüberschreitenden Ansatz und den grenzüberschreitenden Kontrollen genau den richtigen Ansatz verfolgen. Wir helfen den Städten und Gemeinden dabei mit einem ganzen Netzwerk unterschiedlicher nordrhein-westfälischer und europäischer Behörden. So kommen die Kommunen in den Fahrersitz. Rechtlich haben wir unsere Kommunen mit dem Wohnraumstärkungsgesetz in die Lage versetzt, hart gegen schwarze Schafe durchzugreifen. Daher werden wir auch in Zukunft nicht lockerlassen und ausbeuterischen Unternehmen weiter im Nacken sitzen“, sagt Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Das Forschungsprojekt mit dem Titel ‚Arbeitsmigration zwischen den Grenzen‘ lieferte Erkenntnisse zur spezifischen Situation in der Euregio-Region, in der Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten aus osteuropäischen Staaten leben und arbeiten: Diese seien grenzüberschreitend mobil, arbeiten in den Niederlanden in der Fleischwirtschaft und werden in Wohnunterkünften in Nordrhein-Westfalen, häufig in schlechtem bis baufälligem Zustand, untergebracht: „Ihre Situation ist besonders prekär, da unterschiedliche nationalstaatliche Zuständigkeiten in der Grenzregion genutzt werden, um den Profit zu vergrößern und die Arbeitsmigrantinnen und -migranten in größerem Ausmaß auszubeuten – bis hin zu kriminellen Strukturen und Sklaverei-ähnlichen Abhängigkeiten“, so Dr. Ingrid Jungwirth, Professorin für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Diversität und Inklusion an der Fakultät Gesellschaft und Ökonomie und Leitung des Projekts. Zusammen mit Marius Glassner, Wissenschaftlichem Mitarbeiter in dem Projekt, präsentierte sie die Ergebnisse.

In der Diskussion wurde deutlich, in welchem Ausmaß sich die Kommunen auf der deutschen Seite der Grenze der Euregio-Region als Auffangbecken für eine Reihe von Problemen aus der manchmal desolaten Situation grenzüberschreitend mobiler Arbeitsmigrantinnen und -migranten sehen. Das ist der Fall, wenn sie beispielsweise nach einer Kündigung obdachlos werden oder bei einer Erkrankung die Kommunen für die medizinische Behandlung aufkommen müssen, da Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sich aus der Verantwortung stehlen. Insbesondere brachten Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen zum Ausdruck, dass ihnen die Kapazitäten gefehlt hätten, während der Coronapandemie die Umsetzung von Coronamaßnahmen zu kontrollieren. Heute fehlten ihnen die Ressourcen, um die Standards von Wohnunterkünften von grenzüberschreitend mobilen Arbeitsmigrantinnen und -migranten zu kontrollieren.

Weiterhin wurde festgestellt, dass das Arbeitsschutzkontrollgesetz, welches im ersten Jahr der Pandemie 2020 auf den Weg gebracht wurde, strukturelle Veränderungen erzielt hat. Dadurch wurde Leiharbeit in der Fleischwirtschaft in Deutschland im Wesentlichen verboten und es wurden eine Reihe weiterer gesetzlicher Regelungen, etwa zu Kontrollen des Arbeitsschutzes und von Wohnunterkünften auch in anderen Sektoren, festgelegt. Die Analyse von Medienberichten und anderen Dokumenten aus Handreichungen und Leitfäden für die Beratung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten sowie die Auswertung der Expertinnen- und Experteninterviews zeigten, dass damit wichtige Veränderungen erreicht wurden. Das zeigt sich u. a. auch im Vergleich zu den Maßnahmen, die in den Niederlanden ergriffen wurden und weniger weitreichend waren, insbesondere hinsichtlich des arbeitsrechtlichen Schutzes von Arbeitsmigrantinnen und -migranten, woraus sich wiederum Auswirkungen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz von Beschäftigten ergeben.

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass die Erhöhung der Kontrollen des Arbeitsschutzes in Fabriken der fleischverarbeitenden Industrie auf der deutschen Seite der Grenze zwar zu Verbesserungen bei technischen Mängeln geführt habe. Und auch die Corona-Pandemie und gesetzliche Regelungen wie das Arbeitsschutzkontrollgesetz haben zu umfassenden Veränderungen in Vertragsverhältnissen von Arbeitsmigrantinnen und -migranten, zu Umbauten von Wohnunterkünften und Verbesserungen im Arbeitsschutz am Arbeitsplatz geführt. Die Standards in den Wohnunterkünften der Fleischindustrie ebenso wie in der Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen seien demnach gestiegen. Allerdings wurde in der Diskussion während des Workshops die Häufigkeit der Kontrollen weiterhin als zu niedrig angesehen. Eine Schlussfolgerung der Diskussion war daher, dass insbesondere die Kontrolle von Betrieben und Unterkünften weiter erhöht werden müsste und die vorgesehenen Kontrollen nicht ausreichten.

Eine weitere gesetzliche Regelung, die im Zusammenhang der Pandemie und mit den Erkenntnissen in der Euregio-Region zur grenzüberschreitenden Mobilität von Arbeitsmigrantinnen und -migranten getroffen wurde, ist das Wohnraumstärkungsgesetz auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen. Das Gesetz erweitert die Kapazitäten von Gemeinden bei der Kontrolle von problematischen Unterkünften und legt Anforderungen für jegliche Gebäude fest, in denen Arbeitsmigrantinnen und -migranten wohnen bzw. untergebracht werden. Das Wohnraumstärkungsgesetz ist damit auch Ausgangspunkt für die erstmals seit Anfang 2022 stattfindenden grenzüberschreitenden Kontrollaktionen von Leiharbeitnehmerunterkünften in der Grenzregion, ausgeführt von einer Vielzahl zuständiger deutscher Ordnungsbehörden mit Beteiligung des niederländischen Arbeitsschutzes und der europäischen Arbeitsschutzbehörde (ELA).

„Die Ergebnisse der Forschungskooperation belegen einmal mehr, dass die Einführung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes zu spürbaren Verbesserungen der Arbeits- und Wohnbedingungen für Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten in der Fleischindustrie geführt hat. Dadurch können wir nicht nur punktuelle Veränderungen erzielen, sondern ein ganzes System aufbrechen. Die Forschungsergebnisse und die Diskussion machen deutlich, dass der Kontrolldruck durch die Arbeitsschutzkontrollbehörden aufrechterhalten und verstärkt werden muss, damit diese Verbesserungen nachhaltig wirken. Für die Beschäftigten selbst ist es wichtig, dass sie bei der Durchsetzung ihrer Rechte durch Beratungsstrukturen unterstützt werden. Hierzu fördert das Land Nordrhein-Westfalen das flächendeckende Angebot der Beratungsstellen Arbeit“, so Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann.

Über das Projekt

Das Forschungsprojekt ‚Arbeitsmigration zwischen den Grenzen – Arbeits- und Lebenssituation von Arbeitsmigrant*innen in relevanten Sektoren in der Euregio Rhein-Waal‘ wurde in Kooperation mit den Ministerien für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung sowie für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen und mit der Radboud Universität Nijmegen (geleitet von Prof. Dr. Tesseltje de Lange) durchgeführt. Das Projekt ist eine Vorstudie zu einem umfassenderen Projekt und hatte die Zielsetzung, durch Dokumentenanalyse und mit Expert*inneninterviews mit relevanten Akteur*innen in Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft wichtige Problemstellungen zur Auswirkung der Corona-Maßnahmen auf die Situation von Arbeitsmigrant*innen zu identifizieren und Maßnahmenempfehlungen für Politik und Beratung zu erarbeiten. In dem Workshop wurden Ergebnisse und die im Projekt gewonnenen Maßnahmenempfehlungen Akteur*innen in dem Feld vorgestellt und diskutiert. In einer zweiten Phase des Projektes sollen auch betroffene Arbeitsmigrant*innen interviewt werden.

Ansprechpartnerin 

Prof. Dr. Ingrid Jungwirth

Professorin für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Diversität und Inklusion

Fakultät Gesellschaft und Ökonomie

Tel.: +49 (0) 2821 806 73-349

E-Mail: ingrid.jungwirth@hochschule-rhein-waal.de

Pressekontakt

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Teamleiterin Hochschulkommunikation und -marketing

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