Interview mit Prof. Dr. Thomas Heun

Lehre im Sommersemester 2020

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Herr Professor Heun, wie läuft die Lehre im digitalen Sommersemester 2020?

Für eine abschließende Bewertung ist es mitten in der Vorlesungszeit noch zu früh. Aber der entscheidende Punkt bezogen auf meine Lehrveranstaltungen ist: ein guter Teil der Studierenden scheint sich in den digitalen Unterricht eingefunden zu haben. Wie ich das erkenne? Ich sehe auf den digitalen Lernplattformen aktive Studierende, erste Prüfungsleistungen wurden erfolgreich erbracht und es erreichen mich bisher kaum Klagen.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen in diesem Semester?

Die größte Herausforderung aus der Sicht des Hochschullehrers ist die grundlegende Frage nach der Teilhabe. Auch wenn ich ein gewisses Maß an Aktivität in meinen Kursen beobachte, betrifft das offensichtlich nicht alle Studierenden. Auch Kolleginnen und Kollegen beobachten dieses Phänomen.

Und was meinen Sie, woran das liegt?

Ich beobachte, dass die „Aktivposten“ unter den Studierenden sich auch schneller und besser in den rein digitalen Lernwelten zurechtfinden. Das ist der Studierenden-Typus, der auch in Präsenzzeiten und in größeren Gruppen auffällt. Die genauen Gründe für das höhere Maß an Aktivität kenne auch ich nicht; es kann an der Motivation liegen, aber auch an einem mehr an Zeit für Bildung, höherer Medienkompetenz etc. Parallel dazu gibt einen Graubereich und Studierende, die die Kommunikationskanäle zu mir, wie z. B. Kurs-spezifische Video-Sprechstunden, nicht nutzen und bisher nicht in Erscheinung treten. Da stellt sich mir schon die Frage, ob diese Studierenden aktuell von unseren Lehraktivitäten erreicht werden.

Und welche Herausforderungen gibt es noch? Digitale Technik und rechtliche Rahmenbedingungen wurden seit Beginn des Semesters ja intensiv diskutiert …

Ja, diese Diskussionen habe ich auch als sehr raumgreifend wahrgenommen. Technisch hatten weder ich noch meine Studierenden größere Probleme, was auch an der tollen Unterstützung durch unser E-Learning-Zentrum liegt. Die rechtlichen Fragen betrafen oft das Prüfungswesen, und hier insbesondere die Frage der Präsenzklausuren. Auch das hat mich und meine Studierenden weniger betroffen, da ich auf digitale Formate unter Vermeidung von Präsenz, wie z. B. E-Portfolios, gesetzt habe.

Eine der größten Herausforderung ist für mich die Frage nach der „E-Didaktik“. Also die Frage wie Lernen denn in rein digitalen Lernumgebungen stattfindet und erfolgreich gestaltet werden kann.

Und? Wie verändert sich das digitale Lernen?

Diese Frage ist natürlich auch von mir nicht so einfach zu beantworten. Aber klar ist, dass die Studierenden die digitalen Medien und damit auch digitale Inhalte auch schon vor diesem Semester stark nutzen. Dieser Prozess wurde durch das Ausweichen von Präsenzvorlesungen im Hörsaal auf alternative Vermittlungsformen und durch geschlossene Bibliotheken mit all ihren gedruckten Quellen, auf die auch ich als Hochschullehrer gerne verweise, noch einmal dynamisiert. Eine gute Idee ist es meiner Meinung nach, wenn sich Lehrende mit aktuellen Lerntheorien, wie z. B. der des Konnektivismus, befassen. Mir hat der Ansatz geholfen, Studierende leichter zu aktivieren und Lehre interaktiver und selbstbestimmter aus Sicht der Lernenden zu gestalten. Ganz konkret habe ich Studierende in diesem Semester viel stärker dazu animiert sich auf die Such nach „eigenen Quellen“ zu begeben, mit anderen Studierenden über digitale Plattformen nach dem „Wiki-Prinzip“ zu kollaborieren und gemeinsam Beiträge auf den bereitgestellten Plattformen zu veröffentlichen.

Das klingt nach neuen Erfahrungen für beide Seiten. Wie hat das funktioniert? 

Am Anfang war ich in der Tat auch als „Animateur“ gefragt. Aber mit der Zeit haben die Studierenden die auch für sie ungewohnte Rolle angenommen und realisiert, dass Lernen mit der eigenen Aktivität beginnt und die „guten Quellen“ des Wissens nicht nur vorne im Hörsaal stehen oder in wissenschaftlichen Publikationen stecken, sondern dass sie sogar von Mit-Studierenden einiges lernen können.

Prof. Dr. Thomas Heun ist Professor für Marketing & Methoden an der Fakultät Kommunikation & Umwelt und hochschuldidaktischer Mentor der HSRW.